Konstruktivistische Lerntheorie

Nach Neubert, Reich & Voß (o.J.) gehen die konstruktivistischen Ansätze davon aus, Lernen sei ein konstruktiver Ablauf. Die Behauptung, jeder der lernt, tut dies auf bestimmen Erfahrungen unter Einsatz seiner Werte, Überzeugungen, Muster und Vorerfahrungen hat sich bewährt. Lernen wird als Konstruktion verstanden, die die Illusionen des Lernens mittels Aneignung und Abbildung kritisieren. Jeder Lerner konstruiert das Lernen, das Wissen und die erstellten Wirklichkeiten selbst. Kulturell ist er jedoch keineswegs frei. Gebunden ist er stets an die Gegebenheiten der Zeit. Eine der wohl größten Gefahren ist die Tatsache, dass der Lernende also nicht selbst konstruieren kann. Essentiell sind hier die Interaktionen mit anderen Personen. Der Vorgang des Lernens wird so angenommen und weiterentwickelt. Wichtig ist vor allem die Annahme einer eigenständigen Sichtweise auf das eigene Lernen. Der Lernende sollte sich motivieren können, sich selbst organisieren und seine Muster und Strukturierungen kennenlernen. So kann es zum handlungsorientierten Lernen kommen. Auch die Annahme einer fremden Perspektive kann dabei helfen, sich und seine Umstände zu betrachten. Lücken, Fehler und Schwierigkeiten können so überwunden werden. Diese Überwindung führt zu neuen und kreativen Wegen für die Veränderung des Lernverhaltens. Grundsätzlich ist zu sagen, dass der Konstruktivismus besagt, das Wissen sei nicht von äußeren Einflüssen bestimmt. Vielmehr geht es darum, dass Wissen bereits im Lerner existiert und nicht von außen in ihn hinein transportiert werden muss. Nennenswerte Vertreter der Konstruktivismus sind Jean Paul Piaget, Lew S. Wygotzky, John Dewey und Jerome S. Bruner.

Die konstruktivistische Lerntheorie dagegen besteht aus theoretischen Ansätzen, die ausschließlich Annahmen sind. Dabei werden vier verschiedene Ansätze unterschieden. Der Radikalkonstruktivismus, Individualkonstruktivismus, Sozialkonstruktivismus und der gemäßigte Konstruktivismus. Im Folgenden werden die Ansätze erläutert (Woolfolk & Schönpflug, 2008, S. 419ff):

Der Radikalkonstruktivismus geht davon aus, dass kognitive Prozesse auf den individualen Erfahrungen des Lernenden beruhen, und Wissen nicht beigebracht, sondern nur individuell erlernt werden kann. Dieser Ansatz wurde unter anderem von H. Maturana, F. J. Varela, H. v. Foerster, E. v. Glasersfeld zwischen 1960 und 1970 entwickelt. Weitere Vertreter sind beispielsweise Watzlawick und Schmidt. Definiert wird eine empirische Kognitionstheorie. Diese besagt, dass die Überlegungen in jeder erdenklichen Form der Erkenntnis – ebenso das Erkannte an sich – eine Konstruktion des jeweiligen Beobachters darstellen. Erkennen ist dabei ein Prozess, der eigenverantwortlich eine kognitive Welt herstellt bzw. konzipiert. Die Erfassung der Realität in der „äußeren Welt“ wird dabei dennoch anerkannt. Diese Realität sei jedoch nicht erfahrbar. Die eigentliche Wirklichkeit ist immer durch Erkenntnisse konstruiert. Den Grundstein für diese Ansicht legt die neurophysiologische Forschung: Das Gehirn des Menschen wird als Teil eines (Nerven-)Systems verstanden, jedoch besitzt es keine direkte Verbindung zur äußeren Umwelt. Die vom Gehirn erzeugte Welt ist sowohl semantisch als auch kognitiv. Äußere Einflüsse können diese Welt zwar auf bestimmte Weise stimulieren, letztlich entscheiden jedoch die Vorgänge im Gehirn über deren Verarbeitung.

Der Individualkonstruktivismus beschäftigt sich mit der Entwicklung der kognitiven Gebilde, die persönlich bei Erfahrungen mit der Umwelt entstehen. Dabei wird der Lernende als Individuum betrachtet, welches selbstständig aus seinen Erfahrungen lernt.

Der Sozialkonstruktivismus ergänzt den Individualkonstruktivismus durch die Aussage, dass das Individuum nicht nur selbst an seinen Erfahrungen lernt, sondern zusätzlich durch soziale Kontakte. Dabei sind die sozialen Interaktionen lehrreicher als die persönlichen Erfahrungen. Er untersucht, wie soziale Ordnungen kollektiv (über sprachliche Funktionen) produziert werden können. In unterschiedlichen Diskursgemeinschaften werden somit Institutionalisierungs-, Objektivierungs- und Legitimationsprozesse in Gang gesetzt, aufrechterhalten und auch verändert. Sozialkonstruktivistische Denkmuster sind diffus. Ihre Basis liegt jedoch in der Hinterfragung der Grundlagen des Realismus und logisch formalen Wissensständen. Einen wichtigen Ansatz bietet Gergen (1985), der in einer Metatheorie mit vier leitenden Thesen beschäftigt. Das ist zum einen die Annahme, dass nicht die einzelnen Erfahrungen das wissenschaftliche Verständnis der Welt prägen (1). Diese Prägung geschieht durch historisch-kulturelle Methoden, die uns dazu verhelfen, ein Abbild der Welt und von uns selbst zu erstellen (2). Zum anderen besagt Gergens Theorie, dass sich einige Erklärungen durchsetzen und beibehalten werden. Dies hängt jedoch nicht von der Empirie und deren Validität ab, sondern von Veränderungen sozialer Regeln und Kommunikationen (auch Rhetoriken) (3). Zuletzt wird definiert, dass es stets zur Verknüpfung von Handlungen und Beschreibungen und Erklärungen (soziale Handlungen) mit bestimmten Aktivitäten kommt.

Der Radikale und Soziale Konstruktivismus gehen jeweils davon aus, das Individuum habe keinen direkten Zugang zur äußeren Umwelt. Lernen ist ein aktiver Prozess. Das Wissen wird vom Menschen selbst konstruiert und nicht angeeignet. Neues Wissen kann sich somit an vorhandene, persönliche Konstrukte anschließen oder bereits angelegte Konstrukte erweitern. Der Erwerb von Wissen ist genau dann möglich, wenn neue Erkenntnisse sich auch mit diesen alten Konstrukten verknüpfen lassen. Piaget spricht hier beispielsweise von Assimilation und Akkomodation. Die Theorien besagen, dass es keinen konkreten, „richtigen“ Weg gibt, um sich Wissen anzueignen. Vielmehr geht es darum, eine neue und offene Sichtweise bezüglich des Lernens zu entwickeln. Jeder Lernende ist unterschiedlich und nutzt seinen eigenen Zugang zum Lehrmaterial. Grundsätzlich gilt:

  • Das Wissen wird eingebettet in Verknüpfungen und bestimmten situativen Gegebenheiten erworben.
  • Der Kontext des Lernens muss authentisch sein. Es sollen keine künstlichen Probleme besprochen werden, sondern Situationen aus der direkten Umwelt und somit Arbeitswelt des Lernenden.
  • Situationen müssen systematisch abgeändert werden können. Dies geschieht durch die Veränderung von Daten oder Vereinfachung der situativen Bedingungen. Es sollen Lösungsansätze, sowie Alternativen und Umformulierungen für Probleme gesammelt werden.
  • Aus speziellen Situationen aus der Realität sollen durch Vereinfachung und Verallgemeinerung bestimmte Aussagen, Regeln, Strukturen und Ideen erkannt und weiterentwickelt werden. Der Lehrer sorgt für eine gewisse Organisation der Aktivitäten. Um Wissen auf andere Situationen zu transferieren sind Allgemeinwissen, sowie grundlegende Strategien essentiell. Bestimmte Phasen zur Verallgemeinerung sind hier von großer Bedeutung.
  • Sind Strategien erworben worden so sollen diese vom Lerner in realen Situationen in seiner Umwelt angewandt werden. Wenn es die Möglichkeiten hergeben, so sollen auch noch unbekannte und neue Gegebenheiten erfahren und das Wissen auf diese übertragen werden.
  • Wissen über den Gegenstand der Lerneinheit und dessen Bedeutung müssen eigenständig vom Lerner hergestellt werden. Dies wird durch das Sammeln eigener Erfahrungen ermöglicht. Ist der Lernende aktiv, so können intensive Erfahrungen gesammelt, die allgemeine Merkfähigkeit der gelernten Inhalte erzielt, sowie eine genaue Integration in das persönliche Wissensnetzwerk stattfinden.
  • Der Lernende sollte stets genügend Möglichkeiten haben, um sich im Umgang mit dem Lehrmaterial bzw. dem Gegenstand des Lernens mit unterschiedlichen Meinungen und Sichtweisen auseinanderzusetzen und diese einzunehmen. Betrachtet man zum Beispiel einige Produkte in der Gesamtheit ihrer Lebenszyklen, dass erscheinen wichtiger Anliegen: Die Gewinnung von Rohstoff, Konzept und Entwürfe der Produkte, Herstellung, Vertrieb, Kalkulieren der Kosten, Vermarktung, anfallende Arbeiterbelastung und Belastung der Verbraucher, Müllentsorgung und Belastung der Umwelt, betriebliche Kosten, sowie Kosten für die Volkswirtschaft. Im Endeffekt bedeutet dies, dass beim Lernen eine Vielfalt an Bezügen und Bedeutungen des Lerngegenstandes zustande kommen. Die Beachtung all dieser Umstände fördern jedoch die Vernetzung des Denkens bzw. des Wissens.

Der gemäßigte Konstruktivismus ist gegen Aufforderungen zum Lernen. Die Theorie geht von einer Verlangsamung des Lernens durch solche Aufforderungen aus. Nach dem gemäßigten Konstruktivismus lernen die Lernenden anhand von Problemen. Sie sollen Lösungen finden zu realitätsnahen Problemen. Bestenfalls finden die Lernenden kooperativ mit anderen Personen mögliche Lösungswege. Diese Lernform des problembasierten Lernens ist nahe an dem kognitivistischen Falllernen angelegt. Wie beim Falllernen sind konkrete Situationen vorgegeben, anhand derer die Lernenden etwas lernen. Ziel des problemorientierten Lernens ist es, Lernumgebungen zu schaffen, in denen der Lernende vor Schwierigkeiten gestellt wird, die er im Austausch mit anderen lösen kann. Dabei werden keine bekannten Systematiken und Routinen verwendet, sondern produktives Denken gefördert. Walter Edelmann zeigte im Jahr 2000 fünf Arten des produktiven Denkens auf. Durch die Ansätze werden die Lösungen für die vorgegebenen Probleme gefunden. Im Einzelnen sind dies Probieren, Umstrukturieren, Strategieanwendung, Kreativität und Systemdenken (Edelmann, 2000, S. 225). Die Ansätze ermöglichen den Lernenden Probleme zu lösen, ohne konkrete Anweisungen zu erhalten. Für das Online-Lernen sind verschiedene Arten des Lernens denkbar. Eine Möglichkeit wäre, Problemsituationen darzustellen, und Variablen änderbar zu machen. Anhand der Auswirkungen von Änderungen einzelner Variablen auf das Gesamtsystem kann so ein Problem gelöst werden.

Auch das spielbasierende Lernen kann Problemsituationen erzeugen und den Lernenden animieren diese zu lösen. Beim problemorientierten Lernen steht nicht die reine Wissensvermittlung im Vordergrund, sondern die Befähigung selbstständig Wissen zu gewinnen sowie Lösungen für Probleme zu finden und später anzuwenden. Problematisch sind die Überprüfungen des Lernerfolges. Diese Prüfung kann nicht durch schriftliche Tests, sondern ausschließlich durch realitätsnahe Aufgaben erfüllt werden. Die Bewertung der gefundenen Lösung ist schwieriger, da keine Ideallösung vorhanden ist, anhand der das Ergebnis verglichen werden kann. Die Anwendungen der fünf Ansätze Edelmanns und der genutzte Weg müssen zudem berücksichtigt werden. Ein Vorteil des problembasierten Lernens ist, dass die Neugier des Lernenden leicht geweckt werden kann, und so eine intrinsische Motivation vorhanden ist.

Die innere Motivation erzeugt eine bessere Konzentration des Lernenden auf die gestellten Aufgaben. Daher können Bearbeitungsprozesse der Informationen optimal genutzt und die Erkenntnisse besser in das Langzeitgedächtnis gespeichert werden. Die konstruktivistische Lerntheorie bietet Ansätze des Lernens, die ohne viele Instruktionen auskommen. Der Lernende ist relativ frei in der Ausübung des Lernens und kann durch die vorgegebenen Problemsituationen einen Lernerfolg an der Lösung erzielen. Die Kommunikation mit anderen Personen, wie beispielsweise anderen Lernenden oder Lehrern, unterstützt den Lernprozess zusätzlich.
Die Veranschaulichung der vorhandenen drei Ansichten der Lerntheorie zeigt auf, dass verschiedene Wege für das Lernen möglich sind.

Aus allen drei Anschauungen können Erkenntnisse gewonnen werden, die dabei helfen optimierte Lernerfolge zu erzielen. Dabei ist entscheidend, welche Art von Lerninhalt wie zu lernen ist. Für das reine Auswendiglernen können behavioristische Ansätze genutzt werden. Soll das Wissen anwendungsbezogen sein, so werden der Kognitivismus und der Konstruktivismus angewendet.